Bissendorf gegen Bissendorf 0:1 von Peter Pechmann (9.03.09)

Bissendorf gegen Bissendorf:

 

0:1

Bericht über eine Ratssitzung

 

Fällt mir nicht leicht. Darüber zu schreiben, meine ich. Über diese Ratssitzung am 25. Februar.

Warum eigentlich? War doch ganz einfach! Da waren doch lediglich die Ratsfrauen und –herren des Bissendorfer Gemeinderates einschließlich ihrem Bürgermeister und einige aufgebrachte Bissendorfer Bürger, die sich kurz austoben durften (die Bürger), dann aber energisch in ihre Schranken gewiesen wurden und ihrem Rat sprachlos (!) bei der Arbeit zusehen durften.

Nichts Aufregendes, also. Alles so, wie es sein soll.

Schluss, Aus, Ende des Berichts. 544 Zeichen ohne Leerzeichen.


Nachwort:

Was für ein dämlicher Text! Null Information, alles nur Leerzeichen!?

Was soll denn das?

Der obige Text enthält offenkundig nur unwichtige Informationen. Will man ihm aber trotzdem eine Botschaft zugestehen, sie zumindest nicht vorschnell verweigern, wird man sie zwischen den Zeilen suchen müssen. In der Poesie findet man das ja relativ häufig, dieses „Zwischendenzeilenverstecken“, aber in einem Bericht? Der sollte doch wohl nüchtern und sachlich sein, eher eine Art Protokoll, eine objektive Darstellung dessen, was da passiert ist, und nicht das subjektive Geschwafel eines Künstlers.

Aber auch eine Ratssitzung sollte eigentlich objektiv sein. Ein offener und ehrlicher Schlagabtausch zwischen unterschiedlichen Positionen, eine Diskussion, in der Argumente zählen und nicht Überzeugungen, ein Weg, um Lösungen zu suchen und nicht, um Bedenken zu überrollen. Eine Veranstaltung also, die getragen ist von grundsätzlichem Vertrauen und von gegenseitigem Respekt.

War sie aber nicht.

Die Sitzung des Bissendorfer Gemeinderates am 26. Februar 2009, bei der es um die Ausweisung eines Industriegebietes für die Spedition Koch aus Osnabrück ging, wurde geleitet von einem despotischen Zuchtmeister, der in seinem braunen Jackett hinter dem Mikro agierte wie ein Generaldirektor in den 1950er Jahren. Ich hätte nie gedacht, dass eine derartig unfreundliche, ja aggressive Sitzungsleitung heute überhaupt noch möglich ist. In der Sitzung herrschte Zucht und Ordnung! Der Bürger wurde als lästiger Bittsteller behandelt, der sich gefälligst an die Regeln halten soll! Ich kam mir vor wie bei der Bundeswehr. Auch deshalb, weil dort Zucht und Ordnung immer nur für die unteren Dienstgrade galten. Genau wie auf der Ratssitzung. Die Bürger wurden regelmäßig zurückgepfiffen und sollten kurz und knapp ihre Fragen formulieren, der Bürgermeister hingegen durfte weit ausholen. Sehr weit. Er durfte auch die Bürger beschimpfen (was sich das ein oder andere Ratsmitglied auch nicht immer verkneifen konnte) und seine Person, seine aufopferungsvolle Arbeit und sein persönliches Engagement in den Vordergrund stellen. Das hätte sich mal ein Bürger erlauben sollen, au weia![1]

Hat der Bürgermeister wirklich und tatsächlich die Bürger beschimpft?

Na ja, er hat es ein wenig verklausuliert getan und sich beschwert, dass sie faule Gesellen seien, die sich nur dann vom Sofa erhöben, wenn sie persönlich von Veränderungen betroffen seien. Und dass den Bürgern der Weitblick fehle, (den er natürlich für sich implizierte), um überhaupt für sich selbst sorgen zu können. Dabei hätte er als Bürgermeister doch so viel Gutes für Bissendorf getan, was aber keiner so richtig honorieren würde. Er warf seinen Bürgern vor, dass sie sich immer nur einfach gegen jede Veränderung stemmen würden, egal, wie wichtig die sei, und dass sie ihn als Person ganz ekelhaft angreifen würden. Also ich fühlte mich schon ziemlich beschimpft. Außerdem scheint der Bürgermeister von seinen Bürgern nicht viel zu halten, er glaubt sogar, dass die das nicht merken, denn er fügte mehrmals hastig hinzu, dass er natürlich die Bedenken der Bevölkerung ernst nehmen würde ... der Nächste bitte!

Des Bürgermeisters Vorwurf würde übrigens auch umgekehrt funktionieren: Wenn er sich beschwert, die Bürger würden immer gegen Veränderungen protestieren, könnten sich die Bürger ebenso beschweren, Rat und Bürgermeister würden immer alles verändern wollen und den Bürgern dadurch das Leben erschweren. Sie hätten sich auch die spannende Frage stellen können, warum das so sei, ob da gewisse Eitelkeiten mit im Spiel seien, haben sie aber nicht und damit die Veranstaltung wieder zur Sache gelenkt.

Die Aussagen der Ratsmitglieder waren weitgehend vom Blatt abgelesene, seltsam hölzerne Statements. Da wurden viele Erwartungen formuliert, wie gut oder wie schrecklich sich die Entscheidung des Rates auf Bissendorf auswirken würde. Die vorgetragenen Rechtfertigungen der nachfolgenden Entscheidungen sind reichlich bekannt. Entweder befürchtete man den Untergang der Kommune, wenn die Firma Koch sich in Bissendorf ansiedeln würde, oder man befürchtete den Untergang, wenn sie sich nicht ansiedeln würde. Da man das jetzt aber schlecht beantworten kann, sind die Strategien interessant, die hinter den Argumentationen stecken.

Da hatten wir erstens die „Umleitungsstrategie“. Sie ist eine Art Vernebelungstaktik: Die Befürworter betonten mehrmals, dass es ja immerhin einen Gemeindeentwicklungs­plan gebe, bei dem man sich seinerzeit geeinigt hätte, mögliche Gewerbegebiete in Autobahnnähe anzusiedeln. Dieser Plan sei schließlich einzuhalten. Diese Argumentation ist sehr subtil und sehr wirkungsvoll. Denn dort wird ein Zugzwang konstruiert, der gar nicht existiert, was aber kaum jemand begreift. Denn der Gemeindeentwicklungsplan beinhaltet nicht die Aufforderung, Gewerbegebiete auszuweisen, sondern lediglich den Hinweis, falls solche Gebiete entstehen sollten, dies in Autobahnnähe zu tun. Mehr nicht. Daraus den Sachzwang zu konstruieren: das zur Abstimmung stehende Industriegebiet sei sozusagen schon damals beschlossen worden, Einsprüche hätten schon damals eingelegt werden müssen und jetzt ginge es nur noch um die Erfüllung dessen, was damals (angeblich mit großem Aufwand und reger Bürgerbeteiligung) beschlossen worden sei, ist mehr als unfair. Viel größere Relevanz hat übrigens der Landschaftsrahmenplan, in dem für das fragliche Gebiet Landwirtschaft, Erholung und Sicherung des Landschaftsbildes im Vordergrund stehen. Der hieraus tatsächlich entstehende Sachzwang wurde hingegen in der Sitzung verschwiegen. Und die größte Relevanz in diesem Zusammenhang besitzt die übergeordnete Planung der Landkreise Osnabrück und Emsland, sowie der Gemeinden Neuenkirchen und Vörden, Gewerbeflächen speziell für Speditionen im Niedersachsenpark an der A1 zur Verfügung zu stellen. Von all diesen Plänen wurde lediglich der Gemeindeentwicklungsplan ausgegraben und daraus eine nichtvorhandene Zwangssituation konstruiert. Diese Strategie der Ansiedlungsbefürworter ist also höchst unredlich.

Dann gab es zweitens die „Diffamierungsstrategie“. Die Befürworter behaupteten, es handele sich bei den Gegnern des Projekts nur um die Anwohner, die ihre idyllische Wohngegend bedroht sähen. Zum Thema Idylle empfehle ich, neben dem alltäglichen Straßenverkehr das aktuelle Frühlingserwachen des Motorradverkehrs auf der Lüstringer Straße am Wochenende zu studieren. Und dass ein großer Teil der Bürger, die sich zu Wort gemeldet hatten, für ein großes, gemeinsames Bissendorf sprach, wurde einfach nicht zur Kenntnis genommen. Ganz einfach ausgeblendet! Also ein Vorgehen, das erstens sachlich falsch argumentiert, und zweitens auf die Schwächung des Gegners abzielt, und daher ebenso als ausgesprochen „unredlich“ beschrieben werden muss.

Folgte, drittens, die „Expertenstrategie“, die ja schon der Bürgermeister für sich in Anspruch genommen hatte. Diese Strategie spricht den mündigen Bürgern ganz einfach ihre Mündigkeit ab, z.B. in dem Bereich Finanzen. Im Angesicht der von Finanzexperten angerichteten globalen Finanzkrise ist ein solches Vorgehen entweder naiv oder überheblich. Was nicht heißen soll, dass Expertenwissen per se falsch ist, es muss allerdings sehr genau kontrolliert werden, weil es sich gerne verselbständigt. Ein Experte kennt sich auf seinem Gebiet sehr genau aus, in anderen Bereichen ist er ein Dummerjan, je größer seine Spezialisierung, desto mehr. Expertenwissen ist ein Werkzeug, um Entscheidungen zu finden, es ersetzt eine Entscheidung nicht. Ob in der Wirtschaft oder in der Politik, Entscheidungen werden eben nicht von Experten getroffen, jedenfalls nicht nur. Und wenn Fachwissen dazu dient, Kritiker zu verunglimpfen, ist es doppelt fehl am Platze. Und genau so wurde es auf der Sitzung eingesetzt. Nicht schön!

Viertens die „Verharmlosungsstrategie“: „Wir siedeln die Fa. Koch jetzt ja noch nicht an, wir bringen lediglich einen Stein ins Rollen, um die Ansiedlung genauer zu prüfen, diese Prüfung ist vollkommen ergebnisoffen.“ Das Argument ist scheinheilig, weil es einen Vorgang beschleunigt, von dem gleichzeitig behauptet wird, ihn sofort beenden zu wollen, wenn das notwendig erscheint. Nur, wann ist es notwendig? Wenn Höchstwerte überschritten werden? Wer stellt die fest? Und wann? Betrachtet man das bisherige Vorgehen der Befürworter, hat man nicht den Eindruck, dass sie „ergebnisoffen“ vorgehen würden. Dass es sich bei diesem Vorgehen tatsächlich um eine Verharmlosung handelt, um einen Fuß in die Türe des Widerstands zu bekommen, wird auch durch den vielleicht etwas unüberlegt vorgetragenen Vorschlag be­stätigt, dass auf eine Überschreitung von Grenzwerten immer noch mit einer „Verwallung“ reagiert werden könnte. Das heißt: Die Absicht, das Projekt wie behauptet fallen zu lassen, wenn Grenzwerte erreicht werden, wird schon jetzt weiter nach hinten verschoben, wenn es mit weiteren Kunstgriffen dann trotzdem durchgesetzt werden könnte. Auf Versiegelung würde dann „Verwallung“ folgen, und dann? Wenn das nicht reicht? Umsiedlung der Betroffenen? Das wäre dann halb Bissendorf. „Verwallung“! So ein Wort muss man sich erst einmal ausdenken! „Verwallung“. Solches Denken als „ergebnisoffen“ einzuordnen, fällt sehr schwer, vielmehr entsteht der Eindruck, wer so denkt, hat das Problem überhaupt nicht verstanden, von Problembewusstsein ganz zu schweigen. Diese Strategie zielt also darauf ab, Protest gegen die Ansiedlung zu schwächen und schnell Fakten zu schaffen. Sie dient nicht der Abwägung von Für und Wider. Sie ist sehr heimtückisch!

Jetzt habe ich groß und breit die Befürworter des Industriegebietes auseinander genommen, und was ist mit den Gegnern?

Die haben gar keine Strategie. Oder nur eine: Mit mehr oder weniger großer Naivität stellten sie ihre Argumente vor und glaubten tatsächlich, dass sie ernst genommen würden. Aber immerhin haben sie damit genau das aufgezeigt: Eine sachlich-nüchterne Auseinandersetzung findet nicht statt.

Das ist schwer bitter, und eine nachträgliche Anerkennung durch einen sachlich-nüchternen Bericht möchte ich dieser Entwicklung nun wirklich nicht zuteil werden lassen.

 

[1] Wilhelm Bruns, 1. Vorsitzender des Bissendorfer Heimat- und Wandervereins hat das tatsächlich gewagt und sich prompt eine äußerst bissige Rüge eingehandelt.