... stellen wir auf unserer Blog-Seite dar.
... zeigen wir hier:
In Niedersachsen, Landkreis Osnabrück, in der Gemeinde Bissendorf, Ortsteil Natbergen, soll auf einer landwirtschaftlich genutzten Fläche, dem "Natberger Feld", ein Industriegebiet entstehen.
Die Planung wird (wie bei fast allen Industrie- und Gewerbegebieten) kontrovers diskutiert, eine Bürgerinitiative hat sich dagegen gegründet, auf deren Homepage Sie sich jetzt befinden.
Auch wenn die Planung zurzeit etwas ins Stocken geraten ist, ist das Verfahren seit jetzt 9 Jahren (Stand: Juni 2017) noch nicht entgültig entschieden und aus der ganze Sache ein dämliches Damoklesschwert geworden.
Im Januar 2008 überraschte eine Nachricht die Bissendorfer Bevölkerung: Die Spedition KOCH wolle sich im Bissendorfer Ortsteil Natbergen ansiedeln. Das war der Startschuss für eine abenteuerliche Geschichte, die wir hier dokumentieren möchten.
Natürlich fing alles schon viel früher an, aber die Ankündigung der Spedition, ihren Standort in Osnabrück-Atter verlassen und sich im Bissendorfer Ortsteil Natbergen ansiedeln zu wollen, ließ dort die Alarmglocken läuten.
Worauf die Natberger aus allen Wolken fielen, eine Bürgerinitiative gründeten und wütend gegen die Planung protestierten.
Danach ging es ziemlich hoch her. Die Befürworter der KOCH-Ansiedlung argumentierten mit Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen, die Gegner (wir) mit den Belastungen durch Lärm und Gestank, mit der regionalen Raumordnung und mit der Befürchtung, dass Bissendorfs Charakter als stadtnaher Wohnort im Grünen damit im Eimer wäre.
Eine "Städtebauliche Voruntersuchung" wurde von der Gemeinde Bissendorf bzw. der „Osnabrücker Land-Entwicklungsgesellschaft mbH“ (OLEG) in Auftrag gegeben, die zu dem Schluss kam, dass das Natberger Feld als Gewerbefläche geeignet wäre.
Damals war uns noch nicht klar, mit welch harten Bandagen die Auseinandersetzung um das Natberger Feld geführt werden würden. Daher hielten wir die "Städtebauliche Voruntersuchung" tatsächlich für eine Untersuchung und viele von uns glaubten ihr.
Erst später wurde uns klar, dass sie ein beträchtliches manipulatives Potenzial hat und das Ergebnis nicht so zwingend ist, wie dort dargestellt.
Beispielsweise stellt die Voruntersuchung das Ziel: "Sicherung und Entwicklung von Arbeitsstätten“ des Regionalen Raumordungsprogramms (RRP) für den Landkreis Osnabrück in den Vordergrund. Dass aber alle weiteren Ziele des RRP dem widersprechen und ein sog. Zielabweichungsverfahren nötig machen, wird marginalisiert. („Vorranggebiet für Freiraumfunktionen", "Vorsorgegebiet für Erholung“, „Vorsorgegebiet für Landwirtschaft“, „Vorranggebiet für Trinkwassergewinnung“ und „Vorranggebiet für Rohstoffgewinnung, Naturstein“.) Folgerichtig kommt die Voruntersuchung zu dem Schluss, dass das RRP einer Gewerbeplanung nicht im Wege steht.
Oder Bissendorfs Gemeindeentwicklungsplan. Die Voruntersuchung leitet daraus die Legitimität der Gewerbeplanung an dem Standort ab. Betrachtet man den Gemeindeentwicklungsplan aber genauer, ist er vom Geist einer behutsamen Entwicklung getragen, die die natürlichen Ressourcen erhält, und in der ein Industriegebiet von den geplanten Dimensionen keinen Platz hätte.
Da es eine relativ sichere Mehrheit im Gemeinderat für die Ansiedlung gab (CDU, FDP und WfB - eine damalige CDU-Abspaltung - waren geschlossen dafür, einige Mitglieder der SPD ebenfalls), schien bis zum Mai 2009 die Welt für die Befürworter noch in Ordnung und das künftige Industriegebiet in trockenen Tüchern zu sein.
Doch im Juni 2009 bröckelte die Mehrheit im Bissendorfer Gemeinderat, als sich die SPD-Vertreter dann doch geschlossen gegen das Projekt wendeten und einige CDU-Ratsleute ebenfalls.
Angesichts der drohenden Niederlage meldete der Landkreis Osnabrück per Eil-Erklärung Gesprächsbedarf an, worauf die geplante Abstimmung auf der Ratssitzung am 16. Juni 2009 kurzerhand vertagt wurde.
Die Bürgernitiative protestierte vehement und mit verbissenem Humor gegen diese Einmischung, letzlich aber (vorerst) erfolglos.
Denn es folgte eine massive und teilweise erfolgreiche Bearbeitung der nicht zustimmungswilligen Ratsmitglieder und der Öffentlichkeit. Dabei wurden auch Mittel eingesetzt, die man heute als "fake-news" bezeichnen würde.
So hatte der damalige Geschäftsführer der IHK Osnabrück-Emsland Äpfel mit Birnen verglichen und so das Speditionsgewerbe mitten in der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise als wirtschaftlich glänzend profitablen Bereich beworben. Auch gab es eine interessante Darstellung der Auseinandersetzungen in der heute nicht mehr existenten Zeitschrift "Weser-Ems-Manager" und eine unglaublich tendenziöse Klausurtagung im Kreishaus. Und nicht zuletzt präsentierte sich die Spedition KOCH mit offensichtlich geschönten Behauptungen.
Da prasselten wirklich eine Menge geballter Fehl- und Falschinformationen auf uns nieder. Vor allem aber auf die Ratsmitglieder.
Wir versuchten gegen dieses Geprassel unsererseits anzuprasseln und veranstalteten einen öffentlichen Info-Abend am 3. September 2009, bei der u.a. Hubertus v. Dressler, Prof an der FH Osnabrück für Landschaftsplanung und Landschaftspflege, seine Sicht der Dinge darlegte.
Und die deckt sich weitgehend mit unserer: Das Natberger Feld ist ein prägender Teil des Osnabrücker Hügellandes und als landschaftlicher Freiraum wichtiger Bestandteil der räumlichen und kulturellen Identität.
Landvolk-Vertreter Stefan Heckmann äußerte sich skeptisch zu den Gewerbeplanungen, vor allem widerlegte er den unterschwelligen Vorwurf, nur eine gewerblich-industrielle Nutzung würde finanzielle Gewinne auf der Fläche erwirtschaften, die bisherige landwirtschaftliche Nutzung hingegen nicht.
Albert Brunsmann rechnete vor, dass die finanziellen Erwartungen an die Spedition KOCH doch sehr realitätsfern seien und Olaf Knudsen prüfte die Behauptungen der Spedition KOCH aus Sicht eines Speditionskaufmanns nach.
Ralph Griesinger pflückte das Lärmgutachten auseinander und Claus Kanke machte einen Schlussstrich.
(Hier Videos der Beiträge und hier deren Präsentationen)
Leider folgten nur wenige Ratsmitglieder unserer Einladung, dabei hatten wir uns doch damit so viel Mühe gegeben.
Angeblich wollte sich der damals noch in Bissendorf ansässige Glaselemente- und Wintergartenhersteller SOLARLUX ebenfalls auf dem Natberger Feld ansiedeln. Dafür stellten dann beide Firmen einen gemeinsamen "Masterplan" auf, der das Industriegebiet "optimal in die Landschaft einfügen“ sollte.
Der "Masterplan" wurde medial aufwändig präsentiert, sogar ein Modell gebaut. Weil er aber keinerlei Vorteile für die Bevölkerung brachte, sondern nur die Grünanlagen besonders betonte, wurde er als dreistes "Greenwashing" kritisiert.
Der Umsiedlungswille der Firma SOLARLUX nach Natbergen kam genau zur rechten Zeit, um das "Aus" für die KOCH-Ansiedlung dann doch noch einmal zu verhindern.
Denn der SOLARLUX-Umzugswunsch reagierte äußerst passgenau auf Beteuerungen vieler KOCH-Ansiedlungsgegner im Rat, insbesondere derjenigen, die vorher für die Ansiedlungen votiert hatten, und die nach ihrem Kurswechsel nun beteuerten, dass sie keine "Umfaller" und auch prinzipiell nicht wirtschaftsfeindlich seien und das Projekt unterstützen würden, wenn es sich um ein einheimisches Unternehmen handeln würde.
Promt kam es dann, das zumindest halb-einheimische Projekt: Die Spedition und das größte Bissendorfer Unternehmen taten sich zusammen, um sich in Natbergen anzusiedeln.
Das war die turbulenteste Ratssitzung in Bissendorfs Geschichte ever!
Wir hatten uns gut vorbereitet und jede Menge Einladungsflyer verteilt, Fragen und Bedenken angemeldet. Sogar einen Heimatroman hatten wir herausgegeben. Die Aula war so voll wie noch nie.
Doch die Macht mochte nicht mit uns sein. Trotz zum Teil wütender Proteste und dank einer rigoros (einige Stimmen sagten: "despotisch") durchregierenden Sitzungsleitung wurden die 29. Änderung des Flächennutzungsplanes, die Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 144 "Gewerbegebiet Natbergen" sowie das Umlegungsverfahren für die Flächen von nicht verkaufswilligen Eigentümern mit einer Stimme Mehrheit - die Stimme des Bürgermeisters - durchgepeitscht.
Erwähnenswert bleibt neben dem deutlich artikulierten Entsetzen der Bevölkerung vielleicht noch die Rede des SPD-Ratsherrn Schleibaum, der sich unter großem Beifall sehr vehement gegen die Gewerbeplanung und die Instrumentalisierung der Fa. SOLARLUX aussprach.
Nach der Ratssitzung war die Stimmung nicht nur in Bissendorf ziemlich aufgeheizt. In Natbergen und Umgebung brodelte es gewaltig. Es herrschte die Vorstellung, dass hier gleich mehrere Siedlungen für wirtschaftliche Interessen Dritter verkauft wurden.
Dann, fast wie im Film, vermeldete die Spedition KOCH keine zwei Wochen nach der für sie eigentlich erfolgreichen Ratssitzung im Februar 2010, dass sie nun doch nicht nach Natbergen ziehen wolle. Allerdings nicht ohne die Schuld daran uns, der Bürgerinitiative in die Schuhe zu schieben. Auch die Firma SOLARLUX und der Bürgermeister reagierten verschnupft.
Ebenfalls uns gegenüber, nicht gegen die Spedition.
Der Rückzug der Spedition KOCH kam für alle total überraschend.
Im Nachhinein wurde aber bekannt, dass die Spedition die ganze Zeit über parallel mit der Stadt Osnabrück über Gewerbeflächen am Fürstenauer Weg verhandelt hatte. Was die Spedition aber nicht daran gehindert hatte, auf der Ratsklausur im Dezember 2009 zu behaupten, es gäbe keine Alternativ-Standorte. Die Osnabrücker Land-Entwicklungsgesellschaft (immerhin eine Einrichtung des Landkreises, also der öffentlichen Hand) stieß ins selbe - falsche - Horn. [Quelle, S.15]
Die Verhandlungen zwischen der Spedition KOCH und der Stadt Osnabrück hatten sich trotz oder gerade wegen der Bissendorfer Variante für die Spedition positiv entwickelt, sodass sie dort, an ihrem heutigen Standort bauen konnte.
Wenn man so will, war das Natberger Feld die Verhandlungsmasse, mit der die Spedition KOCH gegenüber der Stadt Osnabrück glaubhaft machen konnte, nach Bissendorf abzuwandern, wenn sie sich nicht mit der Stadt einigen würde. Also einigte man sich. Und düpierte den Bissendorfer Rat und alle, die der Spedition in Natbergen den roten Teppich ausgerollt hatten.
Das gab Verletzungen auf vielen Seiten: Stadt gegen Landkreis, Bürgermeister gegen Bürger, Bürger gegen Kommunalpolitiker, Politiker gegen Bürger, Konservative gegen SPD, Grüne und Unabhängige Wähler. Ein giftiges Erbe war verteilt worden, das darauf wartete, sein Unheil zu verbreiten.
Wie gesagt: Fast wie im Film.
Die Reaktion der Düpierten ließ nicht lange auf sich warten. Auf der Bissendorfer Ratssitzung am 17. Juni 2010 wurde beschlossen, das Natberger Feld auch ohne die Spedition KOCH einer gewerblichen Nutzung zuzuführen.
Allerdings solle dies kein "Masterplan durch die Hintertüre" sein, sondern man wolle lediglich mal sehen, ob die Fläche für eine gewerbliche Nutzung überhaupt geeignet sei. Das Bauleitverfahren solle ein Testlaufverfahren sein, um die Fläche ggf. sicher ausschließen zu können.
Der Beschluss wurde auch mit den Stimmen der SPD gefasst. Alle Befürworter betonten, dass sie keine Großunternehmen in den Ort holen wollten, sondern eine "behutsame" oder "ganzheitliche" Entwicklung des kleinen und mittleren Gewerbes im Ort im Sinn hätten.
Vor allem die SPD erntete Hohn und Spott für ihren Kurswechsel. Wenn sie keine Großunternehmen haben wolle, dann solle sie doch ganz einfach kein so großes Gewerbegebiet schaffen, damit sei das Problem erledigt. Und für kleinere Unternehmen seien eh schon genügend Flächen vorhanden. Warum also ein 38,8 Hektar großes "Industriegebiet" mit seinem höheren Belastungspotenzial als ein "Gewerbegebiet" aufmachen, das sozusagen mundgerecht für große Unternehmen ist, wenn man gar keine großen Unternehmen haben will?
Nach dem Beschluss vom Juni 2010 wurde weiter heftig um das Natberger Feld gerungen, allerdings vorerst weitgehend abseits der Öffentlichkeit.
Die Durchführung eines ordentlichen Bauleitverfahrens ist ordentlich geregelt und gliedert sich in mehrere ordentliche Abschnitte. Im ersten Abschnitt werden die "Träger öffentlicher Belange" angehört, erst danach dürfen die betroffenen Bürger auch etwas dazu sagen.
Gleich im ersten Abschnitt ergab sich ein Problem, das ein sogenanntes "Zielabweichungsverfahren" notwendig machte:
Allen Flächen in Deutschland sind bestimmte Nutzungsziele zugeordnet und in entsprechenden "Regionalen Raumordnungsprogrammen" (RRP) dokumentiert. Im RRP des Landkreises Osnabrück ist das Ziel einer gewerblichen Nutzung für das Natberger Feld aber nicht vorgesehen, was für die Errichtung eines Industrie-/ Gewerbegebietes dort eine Sondergenehmigung notwendig macht: Ein sog. Zielabweichungsverfahren. Durchführende Behörde für dieses Verfahren ist ...
... der Landkreis Osnabrück.
Das heißt: Ausgerechnet diejenige Behörde, die im Vorfeld massiv interveniert und ihren Einfluss sehr, sehr, sehr deutlich geltend gemacht hatte, um die Spedition KOCH nach Natbergen zu holen, und die in der Vorgeschichte eine der treibendsten Kräfte gewesen war, um das Natberger Feld in eine Gewerbefläche zu verwandeln, soll jetzt über eine Sondergenehmigung zur gewerblichen Nutzung des Natberger Felds entscheiden.
Die Entscheidung fiel dann auch entsprechend aus, die Abweichung von den Zielen des RRP wurde wunschgemäß genehmigt.
Im Laufe des Verfahrens stellte sich für kurze Zeit die Stadt Osnabrück ein bisschen zickig an und klagte sogar gegen den Landkreis wegen des Zielabweichungsverfahrens, knickte dann aber aus uns unbekannten Gründen ein und zog die Klage zurück. Man einigte sich auf den Kompromiss, statt 40 Hektar nur 20 zu bebauen. Weil man dann ja an den Gewerbebauten vorbei schauen könne, seien die "Grundzüge der Planung" zur Sicherung der freien Landschaft nicht mehr betroffen und das Abweichungsverfahren korrekt. (Das wurde wirklich so vorgebracht, auch bei den Abwägungen der Bürgereinwände, z.B. S.58.)
Wir bewerteten das als schlimmes schleimheiliges Manöver. Denn die spätere Erweiterung auf die ursprüngliche Größe war offenkundig schon eingeplant, Hinweise darauf liefert z.B die unverminderte Größe des Regerückhaltebeckens für 40 Hektar in der vorgestellten reduzierten Planung für 20 Hektar.
Vor allem aber ist die Argumentation, dass man nicht gegen die Bebauung gucken müsse, sondern auch in eine andere Richtung sehen könne, schon mal an sich eine - nun ja - sehr dreiste Behauptung, um damit den Erhalt eines landschaftlichen Freiraums zu beanspruchen. Aber sie ist nicht nur dreist, sie stimmt nicht einmal annähernd.
Einmal wegen der ganz normalen Logik nicht: Ein landschaftlicher Freiraum, egal, ob mit einer 40- oder einer 20-Hektar großen Gewerbefläche in der Mitte, ist kein landschaftlicher Freiraum mehr.
In diesem Fall stimmt sie aber besonders nicht, weil die Bebauung quer zur Beziehungslinie zwischen Osnabrück und Bissendorf als nord-südlich verlaufender Streifen entlang der Lüstringer Straße, also genau quer zur ost-westlichen Sichtachse angelegt werden sollte. Diese Sichtachse wurde (und wird) in den Plänen des Gewinners des zur gleichen Zeit (März 2011) stattfinden Wettbewerbs um die Ortskernsanierung Bissendorfs (Dr. Ahrens + Pörtner) ausdrücklich betont. Blicke folgen Beziehungen. "Form follows function", sozusagen. Das ist Grundlage und Erfolgrezept des Entwurfs, der die Beziehungen Bissendorfs mit seiner Umgebung sichtbar machen will. Und der deshalb diese Blickachsen besonders betont.
Man hätte also schon vorher nicht so einfach an der geplanten Bebauung vorbei gucken können, weil sie quer zu der wichtigsten Blick- und Beziehungsachse stehen würde. Nach der Dorfkernsanierungsplanung erst recht nicht! Das war (und ist) alles nur Gewäsch!
Die Bissendorfer Grünen beschwerten sich beim zuständigen Ministerium gegen das Zielabweichungsverfahren, kamen damit aber nicht weit.
Betroffene Bürger können gegen eine Flächennutzungsplanänderung nicht klagen, das geht erst in der zweiten Stufe der Bauleitplanung, dem Bebauungsplan.
Schon am 31. März 2011, also noch mitten im Streit mit der Stadt Osnabrück über das Zielabweichungsverfahren, hatte der Bissendorfer Gemeinderat die in seinem Verwaltungsausschuss bereits am am 24.3. beschlossene Auslegung des Flächennutzungsplans bzw. seiner 29. Änderung bestätigt. Wobei noch einige Flächen hinzu gekommen waren. Insgesamt ging es nun um 66,5 Hektar.
Weil der Rechtsstreit mit der Stadt keine aufschiebene Wirkung auf das Bauleitverfahren hatte, rief die Bürgerinitiative zu reger Inanspruchnahme des Eingaberechts betroffener Bürger innerhalb der Auslegungsfrist (4 Wochen) auf. Die Gemeinde hatte auf diese Frist nur sehr, sehr knapp hingewiesen. Viele Bürger äußerten ihre Bedenken über die Planung, teilweise sehr deutlich.
Alle Einwände gegen die 29. Änderung des Flächennutzungsplanes wurden abgewiesen.
Mit der Kommunalwahl im Nacken gaben sich die Kommunalpolitiker Mühe, ihre Entscheidung als möglichst harmlos darzustellen.
Man wolle nur mal ausprobieren, ob das mit der Gewerbeplanung überhaupt klappen könne, tatsächlich bedeute das noch lange nicht, dass Morgen die Bagger kommen. Außerdem solle die Fläche im Natberger Feld nur für die Firma Solarlux gelten. Ausschließlich. Man wolle keine anderen Betriebe dort ansiedeln. Die SPD gab sogar ihr Ehrenwort.
Aber rechtlich binden wollte sie sich nicht.
Nach außen hin stellten die Befürworter dar, dass sie bei ihrem Votum für die Bebauung des Natberger Felds nur an die Firma SOLARLUX dachten, als es aber zum Schwur kommen sollte, also die Planung nur für SOLARLUX und zeitlich begrenzt werden sollte, kniffen sie. Im Gegenteil, der Bürgermeister schwärmte gleichzeitig von "innovativen Unternehmen", die sich im Natberger Feld ansiedeln wollten.
Im textlichen Erläuterungsteil zur 29. Änderung des Bissendorfer Flächnnutzungsplans (der nur während der öffentlichen Auslegung im Rathaus einzusehen war) stand / steht übrigens ebenfalls, dass es sich um Flächen handele, „die im interkommunalen Wettbewerb konkurrenzfähig sind“ (S.17), und dass das Vorhaben „unabhängig von den konkreten Ansiedlungsplänen der v.g. [ortsansässigen] Betriebe“ vorgenommen werden solle (S.6, im Original kursiv und unterstrichen). Folglich „… beschränkt sich der Ausweisungsbedarf ausdrücklich nicht auf einen sog. Eigenbedarf (etwa im Sinne einer Flächenausweisung für Betriebe, die aus der Gemeinde kommen und Erweiterungsbedarf besitzen), sondern ausdrücklich auch auf die Neuansiedlung von Betrieben“ (S.17).
Was soll man da noch sagen?
Eine der beiden Aussagen muss ein "alternatives" Faktum sein, beides zusammen geht nicht: Öffentlich wurde beteuert, dass die geplante Änderung des Flächennutzungsplanes lediglich vorgenommen werden solle, um lokalen Firmen langfristige Expansionsmöglichkeiten bieten zu können. Als Beispiel wurden die beiden Firmen SOLARLUX und Balgenort-Lingemann (übrigens eine Osnabrücker Firma) erwähnt. Die jetzige Planung diene lediglich dazu, Perspektiven für die Zukunft offen zu halten, nicht jedoch, um eine Industrialisierung der Region voranzutreiben. Außerdem wolle man überhaupt nur kleine und mittlere Gewerbebetriebe und keine Industriebetriebe ansiedeln. Auf sämtlichen Informationsveranstaltungen und auf allen Ratssitzungen zu diesem Thema wurde dies mehrfach intensiv beteuert (zuletzt: Bissendorfer Blickpunkt Nr.133, S.9).
Intern jedoch wurden sämtliche Weichen auf starke wirtschaftliche Expansion gestellt!
Nicht nur wir waren sauer. In Anlehnung an Walter Ulbrichts inzwischen doppelt bis dreifach geflügelter Ausage: "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten" fühlten wir uns ebenso belogen und übertölpelt wie die Weltöffentlichkeit damals. Und das nicht etwa in einem Autoritätsstaat der 1960er Jahre, sondern in einem Rechtsstaat und von demokratisch gewählten Politikern im Jahr 2011!
Die Kommunalwahlen im September 2011 kippten die konservativ-liberale Mehrheit und brachten eine Zählgemeinschaft von SPD als stärkste Kraft, zusammen mit Grüne und neu formatierte Unabhängige Wähler Bissendorf (UWB ) an die Macht. Bei den Grünen und der UWB hatten sich viele Gewerbegegner aufstellen lassen.
Die Kommunalwahlen änderten aber nichts an der Haltung der SPD zum geplanten Gewerbegebiet in Natbergen. Im Gegenteil, die SPD meinte, dass sie als Siegerin aus den Wahlen hervorgegangen sei und nun ihrerseits die Pflicht oder das Recht habe, den von ihren Vorgängern eingeschlagenen Weg zum Industriegebiet weiterzuführen. Dass die Wahl auch eine Abwahl der Befürworter gewesen sein könne und die Gegner der geplanten Bebauung gestärkt hatte, oder Erinnerungen an die programmatische Rede des Ratsherrn Schleibaum vom 25.2.2010 kamen ihr nicht in den Sinn.
Ach ja, die Sozialdemokraten! Wir verstehen sie nicht.
Im Januar 2013 wurden die Bissendorfer Gemeinderatsmitglieder von der Firma SOLARLUX eingeladen und (im Gegensatz z.B. zu unserer Info-Veranstaltung am 3.9.09) kamen auch fast alle.
Die Grünen nicht, denn sie waren nicht eingeladen. Worauf die UWB ihre Teilnahme auch absagte.
Anscheinend nutzte die Firma den Termin, um anzudeuten, dass sie die Gemeinde verlassen wolle.
Worauf die Teilnehmer dieser Runde mit Unterstützung einiger Bissendorfer Vereine unseren Sprecher, Günter Korte, hart angingen, weil er die Ablehnung der Bebauung des Natberger Felds auch gegenüber der Firma Solarlux drei Monate zuvor (!) in einem Telefonat bestätigt hatte.
Und der Gemeinderat sich beeilte, einen auf alle möglichen Wünsche der Firma zugeschnittenen Bebauungsplan auf den Weg zu bringen.
Und die SPD sich beeilt, die Zählgemeinschaft mit Grüne und UWB zu beenden.
Seitdem herrscht eine faktische Große Koalition in Bissendorf.
Unterstützt wurde sie dabei - wieder einmal - vom Landkreis Osnabrück. Bei seinem ersten offiziellen Antrittsbesuch nach seiner Wahl verkündete Landrat Dr. Michael Lübbersmann am 16. Mai 2013 freundlich lächelnd, Bissendorf habe "enormes Potenzial" und das zukünftige Gewerbegebiet sei von "strategischer Bedeutung für den Landkreis".
Im Juni 2013 wurde diese Planung gemäß gesetzlicher Vorgaben zur "frühzeitigen Beteiligung der Öffentlichkeit" vorgestellt.
Da der Bebauungsplan zwar einzig und allein für die Firma SOLARLUX geplant wurde, diese aber keine konkreten Anforderungen formuliert hatte, gab es eine Stellvertreter-Planung: Ein riesiger brauner Klotz entlang der Lüstringer Straße, mehrere Hundert Meter lang, 15 - 20 Meter hoch.
Die Planung orientierte sich an den maximalen Grenzwerten, die gesetzlich erlaubt sind. Eine Maximalplanung.
Auf der Veranstaltung gab es viel Kritik. Aber auch Resignation, weil, gegen SOLARLUX wollte keiner was sagen. Gerade deshalb wunderten sich sehr viele Bürger, dass kein Vertreter der Firma SOLARLUX anwesend war. Immerhin galt die ganze Aufregung doch ihnen und ihren Erweiterungsplänen.
Insgesamt machte sich Skepsis, Verärgerung und Unsicherheit breit. Die ganze Angelegenheit war irgendwie ziemlich verworren: Im Kampf gegen die Spedition KOCH waren die Positionen eindeutig gewesen, keiner wollte eine Spedition im Dorf haben. Bei der Firma SOLARLUX war das schwieriger, keiner hatte was gegen sie. Doch ihr halsstarriger Anspruch aufs Natberger Feld war auch nicht schön. Und dass sie ausschließlich mit den Befürwortern kommunizierte und ihre Gegner im Regen stehen ließ, ebenfalls nicht. Dass die Firma SOLARLUX es sogar nicht für nötig gehalten hatte, auf der Bürgerinformationsveranstaltung zu erscheinen, obwohl sie als Begründung für das ganze Unterfangen herhalten musste, verringerte die Skepsis gegenüber ihr auch nicht unbedingt.
Wie zuvor die Spedition KOCH sagte dann auch die Firma SOLARLUX ihren vormals so energisch formulierten Ansiedlungswunsch im Natberger Feld plötzlich ab und verkündete, in der Nachbargemeinde Melle bauen zu wollen.
Womit sie einen Sturm der Entrüstung auslöste.
Aber nicht über ihre Entscheidung, sondern über uns, die Bürgerinitiative. Wir hätten die Firma vergrault. Ein Shitstorm brach über uns herein, insbesondere über Günter Korte, unseren Sprecher.
Betrachtet man aber die Gründe für den Wegzug der Firma genauer, ergibt sich ein anderes Bild. So wurde von Mitinhaber Stefan Holtgreife vorgebracht, dass sich die Verhandlungen in Bissendorf im Kreis gedreht hätten. Die BI hatte aber gar nicht verhandelt, sie war von Verhandlungen sogar ausdrücklich ausgeschlossen worden.
Was die Kosten angeht, die Grundstückspreise kennen wir nicht, wissen aber, dass die Gewerbesteuerhebesätze in Melle (345%) deutlich niedriger als in Bissendorf (380%) waren.
Und letztlich wendet sich der gegen uns vorgebrachte Vorwurf, wir seien eine “kleine örtliche Gruppe individuell Betroffener“, die das Allgemeinwohl einer ganzen Kommune verhindert hätte, gegen seine Autoren. Denn wenn die BI wirklich nur eine Handvoll persönlich Betroffener sein sollte, warum hatte die Firma SOLARLUX sich dagegen nicht locker behaupten können? Noch dazu, obwohl ihr der Weg von der Politik mächtig geebnet worden war.
Anscheindend war der Wille, sich im Natberger Feld anzusiedeln, trotz der politischen Schützenhilfe doch nicht so sehr ausgeprägt wie immer dargestellt.
Oder wegen der Politik.
Wir vermuten, dass die Firma SOLARLUX ein Spielball politischer Interessen geworden war und die Umsiedlung nach Melle ein Befreiungsschlag. Der Landkreis hatte ein "strategisches Interesse" an der Ansiedlung in Natbergen angemeldet und überhaupt war die Firma erst ins Gespräch gebracht worden, als die Firma KOCH Schiffbruch in Natbergen zu erleiden drohte. Seit deren Rückzug musste sie den Karren quasi alleine durch schweres Gelände ziehen.
Das nächste Kapitel in diesem Monumentalwerk der Kommunal- und Regionalpolitik war die Bürgerbefragung am 22.9.2013.
Ein Bürgerbegehren war von uns 2009 ins Spiel gebracht worden, als die Spedition KOCH unser Dorf belagerte. Damals wurde der Wunsch kritisiert und von den politischen Fraktionen (außer UWG und Grüne) als unzulässige Einmischung in ihre Handlungsvollmacht gesehen.
2010 übernahm die SPD teilweise diese Idee und brachte einen Antrag in die denkwürdige Ratssitzung am 25.2.2010 ein, eine Bürgerbefragung durchzuführen. Der Antrag wurde von der damaligen konservativen Ratsmehrheit abgewiesen.
Nach der Ankündigung, dass die Firma SOLARLUX nun doch auch nicht in Natbergen bauen wollte, beantragte die SPD wiederum eine Bürgerbefragung, allerdings diesmal unterstützt von der CDU.
Was begründete diesen Gesinnungswandel?
Zum einen der Eindruck, die BI sei inzwischen "weichgekocht" worden. Wir waren für den Wegzug der Firma SOLARLUX verantwortlich gemacht worden, hätten sie "vertrieben". Auch wenn das unwahr ist und wir uns dagegen zu wehren versuchten, wurde diese Sicht der Dinge sehr, sehr breit gestreut.
Zum anderen verknüpften die Gewerbe-Befürworter mit der Bürgerbefragung die Hoffnung, dass bei einem für sie positiven Ergebnis die BI dauerhaft aus dem (Natberger) Feld geschlagen und der Weg für zukünftige Planungen frei werden würde.
Und nicht zuletzt war die Befragung so unkonkret wie möglich gehalten worden, sodass daraus tatsächlich ein Freifahrtschein für alles zu werden drohte.
Das Ergebnis der Befragung war - nun ja - interessant.
Zwei Drittel der Bissendorfer Wahlberechtigten hatten sich für eine gewerbliche Nutzung des Natberger Felds ausgesprochen. Aber in den direkt umliegenden Ortschaften war es genau umgekehrt. Dort waren zwei Drittel dagegen. Außerdem lag die Wahlbeteiligung bei 74%, also 1/4 der Bevölkerung hatte nicht abgestimmt. Und, die 16-18-Jährigen waren zwar stimmberechtigt, hatten aber - warum auch immer - keine Wahlbenachrichtigung bekommen.
Bissendorf ist eine Kommune, die nach dem Zeitgeist der damaligen Zeit bei der Gebietsreform im Juli 1972 aus vielen kleinen vormals selbständigen Gemeinden gebildet worden ist. Dabei wurden auch Orte administrativ zusammengefasst, die bislang relativ wenig miteinander zu tun hatten. Was zu großen Teilen auch immer noch so gesehen wird. Trotz der administrativen Klammer gibt es immer noch ein ausgeprägtes Ortsteilbewusstsein. Dieses Kirchturmdenken, das die Industrie-Befürworter uns, den Gegnern, immer als Blockadepolitik vorwarfen, wurde in dieser Befragung ausgenutzt.
Was das Ergebnis dieser Befragung zeigt. Es zeigt aber auch, dass die Bürgerinitiative vor Ort immer noch einen großen Rückhalt hatte und die Idee, durch die Befragung einen Freifahrtschein für alles zu bekommen, nicht aufgegangen ist.
Seitdem herrscht eine labile Ruhe, die immer mal wieder von leichtem Grollen unterbrochen wird. Im April 2014 zur Bürgermeisterwahl konnte es der einzige Kandidat Guido Halfter sich nicht verkneifen, gegen die BI zu agitieren, obwohl die sich gar nicht zu seiner Kandidatur geäußert hatte.
Und im September 2016, als die Fa. SOLARLUX ihr neues Heim in Melle einweihte, gab es auch die ein oder andere böse Stichelei.
Auf der anderen Seite bekamen wir prominente Unterstützung durch die Landkreisgrünen und Landwirtschaftsminister Meyer.
Bürgerinitiative Schönes Natbergen
Sprecher: Martin Becker
Lüstringer Str. 35A
49143 Bissendorf-Natbergen