Das Geld liegt auf der Straße, man muss sie nur aufheben (25.2.10)

Das Geld liegt auf der Straße, man muss sie nur aufheben (25.2.10)

 

Peter Pechmann

 

Das Geld liegt auf der Straße, man muss sie nur aufheben

oder

Bericht über die Sitzung des Bissendorfer Gemeinderates vom 25.2.2010

 

„Nein, nein“, sagte der Dritte, „so darfst Du das nicht sehen.“

Damit brachte er mich ein bisschen durcheinander, denn ich war ganz froh gewesen, endlich die Sache durchblickt zu haben.

„Das eine hat mit dem anderen rein gar nichts zu tun“, schob der andere nach.

 

Ich saß in meiner Eckkneipe und musste mir das Gesülze dieser beiden Blödmänner anhören und wollte eigentlich doch nur in Ruhe mein Bier trinken. Doch da waren auf einmal diese zwei Jungens gekommen und hatten sich an den Tisch gestellt. Was ich ein bisschen komisch fand, weil eigentlich überall noch Platz war. Also, warum stellt man sich an einen besetzten Tisch, wenn es noch freie gibt? Das habe ich die beiden dann im Laufe des Abends irgendwann auch mal gefragt, als ich ein bisschen mehr Mut gesammelt hatte, aber kapiert habe ich die Antwort nicht.

Also, stellen Sie sich vor, Sie würden da in Ihrer Stammkneipe stehen, an meiner Stelle, und dann würden zwei Kerle an den Tisch kommen und sagen, ich sollte doch mal ein bisschen Platz machen für sie. Und ringsum wimmelt es von Platz. Aber ausgerechnet bei mir, da wollen die hin. Das hab ich nicht verstanden. Weil ich aber ein höflicher Mensch bin, na, da hab ich halt ein bisschen Platz gemacht und mich aber sonst nicht groß um die beiden gekümmert.

Jedenfalls habe ich das versucht, ist mir aber nicht geglückt. Denn der eine kramte sofort so kleine Spielzeug-LKWs raus und breitete auf dem Tisch seinen Fuhrpark aus. Ich dachte, der hat ja ne Vollmeise, was soll das denn jetzt?, da hatte der andere ’n großes Papier, groß wie ’ne Tischdecke, und breitet das auch genau wie eine Tischdecke über die Tischplatte. Drückt noch die Falten glatt, genau wie meine Frau immer. Hatte gerade genug Zeit, mein Bier zu retten. Und der andere dann wie wild mit seinen LKWs am kurven, auf diesem Tischdeckenplan.

Ich guck die beiden an und frag: „Sagt mal, Jungs, was soll denn das werden, wenn’s fertig ist?“

Sie guckten mich an, und irgendwie war ihr Blick …, hm, schwer zu beschreiben, eine Mischung zwischen euphorisch und mitleidsvoll. Irgendwie so, wie, wenn mein Deutschlehrer die Schulaufsätze zurückgegeben hatte, und meiner war der letzte. Aber egal.

„Ne Spedition!“, sagte der eine, „das sieht doch ’n Blinder!“

Aha, ’ne Spedition. Au ja, die hat auch gefehlt auf meinen Kneipentisch, der jetzt offenbar unser gemeinsamer Kneipentisch geworden war. Jetzt, wo er’s sagt, merke ich erst, wie sehr mir eine Spedition auf’m Kneipentisch gefehlt hat. Ehrlich!

Ich guck den mit dem Tischtuchplan an: „Und Du, was machst Du?“

„Arbeitsplätze“, sagt der todernst, blieb aber ansonsten stumm. Der mit den LKWs drängte sich wieder nach vorn: „Ne Spedition ist wichtig, weißt Du, damit kann man alles Mögliche transportieren. Batteriesäure, Lösungsmittel, Feuerwerkskörper, Urinsteine, und …“ ihm fiel nichts mehr ein, aber ich nickte.

Der mit den Arbeitsplätzen nickte auch.

Dann war mein Bier leer und ich überlegte, ob ich meinen Platz wechseln und den beiden Spinnern das Feld überlassen sollte, fand das aber irgendwie zu blöde und setzte mich mit dem neuen Bier an den alten Tisch und schlug einen Zipfel des Tischtuchplans um, um mein Bier auf dem Tisch abstellen zu können.

„Heh! Finger weg, das geht nicht!“ blaffte mich der Zweite an und klappte den Plan wieder zurück. Also musste ich mein Bier in der Hand behalten, wo es langsam warm werden würde. Das gefiel mir aber überhaupt gar nicht und ich protestierte: „Also Jungens, geht doch an einen anderen Tisch, es gibt genügend freie Plätze hier, warum müsst Ihr ausgerechnet an meinen Tisch?“

„Das ist der, den wir wollen“, sagte der mit der Spedition. Der andere sagte nichts.

„Aha“, entgegnete ich, „das ist aber zufällig auch der, an dem ich stehe. Und ich steh’ hier schon etwas länger ’rum als Ihr. Also, es gibt reichlich Platz für Euch an den anderen Tischen, aber hier nicht.“

„Wer ’rumsteht, ist ein Unterlasser. Wir aber sind Unternehmer. Wir sind es, die die Wirtschaft vorwärts bringen, nicht die, die nur blöd ’rumstehen.“

Ich überlegte kurz, die beiden darauf hinzuweisen, dass ich inzwischen diese Wirtschaft mit dem fünften (oder sechsten?)  Bier vorwärts gebracht hatte, die beiden aber noch nicht einmal ’nen Kaffee bestellt hatten, fand das aber zu kleinkariert und hielt mein Maul.

„Ja, wir bringen die Wirtschaft auf Trapp“, sagte der Dritte und grinste dem Wirt zu.

„Wir bringen richtig Umsatz“, ergänzte der Zweite auch in Richtung Wirt, „damit Du Dir eine neue Zapfanlage kaufen kannst und neue Tische und überhaupt ’ne neue Einrichtung. Ist doch alles ziemlich verstaubt hier.“

Ich mag es, wenn meine Stammkneipe verstaubt ist. Ich finde, Stammkneipen müssen verstaubt sein. Eine Stammkneipe, die nicht verstaubt ist, kann auch keine Stammkneipe sein. Doch der Wirt schien anderer Meinung zu sein. Jedenfalls zögerte er, mich zu unterstützen. Mich, seinen tapfersten Stammgast.

„Ja“, sagte er und guckt in die Runde, „ich könnte schon ’ne Ortskernsanierung gebrauchen, hier drin. Ich hab’ zwar Schulden, aber wenn hinterher alles besser wird, würde ich dafür auch noch mehr Schulden machen. Vielleicht die Cola ’n paar Cent erhöhen. Und die Apfelschorle.“

„Ja, genau!“, der mit der Spedition schlug sich mit der flachen Hand auf die Schenkel, „Modernisieren musst Du, denn sonst bleiben Dir die Gäste weg.“ Er grinste. „Und dazu brauchst Du uns. Wir bringen das Geld in die Kasse!“ Er flötete irgendeine lustige Melodie und malte mit den Fingern Dollarzeichen in die Luft. „Ohne uns kannst Du den Laden zumachen, aber Du hast Glück, Du hast ja uns.“ Er lachte breit.

Inzwischen waren auch andere Stammgäste an unseren Tisch gekommen, die sich für die Diskussion interessierten. Die meisten waren der Meinung, dass die beiden Jungs Schwachsinn verzapften, wie sollte denn eine Spedition Geld für die Kneipe bringen? Der Wirt aber hatte Feuer gefangen. „Au ja, die Idee ist schon toll, eine Spedition inner Kneipe, wer hat das schon. Das wäre ein Alleinstellungsmerkmal, das müsste man mal durchplanen.“

Der mit dem Tischtuch winkte eifrig: „Hab ich schon. Hier, mein Masterplan. Mit schönen Bäumen und alles ist tiefer gelegt und eingegrünt und so. Ganz große Klasse!“ Er zeigte auf sein Tischtuch.

„Wie jetzt?“, Ralph, auch ein Stammgast und inzwischen ein guter Freund von mir, guckte mich irritiert an, „das ist doch ’n Witz oder?“ Ich zuckte mit den Schultern.

„Nein, nein“, drängte sich der mit der Spedition zwischen uns, „wir bauen hier Fern- und Nahverkehrslinien auf, damit kannst Du dann direkt von Zuhause aus Bestellungen aufgeben und geliefert bekommen. Das wird alles höchst professionell. Du brauchst dann nicht mehr hierhin zu kommen.“

„Brauch ich jetzt auch nicht“, brummte Ralph und winkte dem Wirt für ’n neues Bier zu, „tu ich aber trotzdem“.

„Also hier“, das war wieder der Speditionsheini, der mit seinem linken Arm einen weiten Bogen beschrieb, „machen wir unser Logistikzentrum. Und da“, er winkte mit dem rechten Arm, „kommt sein Europacenter hin“, er deutete auf den Tischtuchmann, „und da … was weiß ich. Und dann die Verkehrslinien.“

Die Augen des Wirts leuchteten debil.

„Aber“, meldete sich da der alte Pastor Kühme, auch ein Stammgast, „man soll doch die Kneipe im Dorf ….“.

„Ruhe!“, donnerte der alte Feldwebel, noch ein Stammgast, der heute sein braunes Jackett gegen ein graues Mäntelchen eingetauscht hatte, „Ruhe, sonst erteile ich Ihnen sofort Hausverbot!“, was Pastor Kühme aber gar nicht verstand, weil er schlecht hört, die anderen aber auch nicht, obwohl sie alle sehr gut hören. Alle guckten den alten Feldwebel an, der mit geradem Rücken auf seinem Barhocker hockte und sein gesundes Rechtsempfinden pflegte. Mann-oh-Mann, manchmal denke ich, dass vielleicht doch ’ne andere Stammkneipe?

Aber zurück zu gestern Abend. Der Feldwebel war richtig in Stimmung und versuchte, jegliche Diskussion zu unterdrücken. Aber es ging trotzdem ziemlich hoch her, wobei ich mich die ganze Zeit fragte, ob meine Kneipenkumpane denn auch wirklich wussten, worüber sie da lamentierten. Und irgendwann fragte ich mich das auch selber: Da kommen zwei komische Käuze herein und bringen die ganze Kneipe durcheinander. Und all die starken Kerle gackern aufgeregt wie die Hühner. Okay, fast alle. Oder genauer: sechzehn von einunddreißig. Wieso schmeißt keiner die beiden Blödmänner raus?

Und dann wurde mir auf einmal klar, dass die beiden gerade dabei waren, uns mitsamt der Kneipe rauszuschmeißen, während wir noch heiß diskutierten. Denn es ging nicht um eine Spedition in der Kneipe, es ging um eine Spedition anstatt der Kneipe.

 

„Nein, nein“, sagte der Dritte, „so darfst Du das nicht sehen.“

Damit brachte er mich ein bisschen durcheinander, denn ich war ganz froh gewesen, endlich die Sache durchblickt zu haben.

„Das eine hat mit dem anderen rein gar nichts zu tun“, schob der andere nach.