Wir kleinen Leute

Was kann man gegen Fehler im System machen?

Wir hatten das Bundesverwaltungsgericht angerufen, weil das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg am 10.2.2022 unsere Kritik an der Planung für den B-Plan Nr. 150 "Natberger Feld" abgewiesen hatte. Mit unserer Klage wollten wir insbesondere das "Zielabweichungsverfahren" prüfen lassen, weil es offensichtlich den im Gesetz definierten Ausnahmen, für die von den Zielen der Raumordnung abgewichen werden darf, nicht entspricht. Außerdem ist die durchführende Behörde der Landkreis Osnabrück, der zuvor auf politischer Ebene sehr eindeutig Position für das Projekt bezogen hatte, das von der Zielabweichung profitieren würde. Die Entscheidung ist daher sowohl fachlich also auch verfahrensmäßig zumindest kritisch zu beurteilen und sollte in einem Rechtsstaat gerichtlich überprüft werden können.

Leider wurde diese Überprüfung sowohl vom BVG als auch vom OVG mit dem Hinweis verweigert, dass ein "Zielabweichungsverfahren" ein behördlicher Vorgang sei, bei dem Bürgern kein Klagerecht zusteht. Der Zielabweichungsbescheid sei eine abgeschlossene behördeninterne Angelegenheit und daher "unanfechtbar" (Urteil vom 10.2.2022, S. 16).

Es sieht also so aus:

Wir sind von einer Planung betroffen, die auf einer problematischen Behördenentscheidung beruht, haben aber kein Recht, diese Entscheidung einem unabhängigen Gericht zur Prüfung vorzulegen. Wir halten diese Entscheidung für problematisch, weil sie Behördenwillkür befördert und vor allem, weil sie den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit widerspricht:

"... Verwaltung und Rechtsprechung haben sich an Recht und Gesetz zu halten; der Gesetzgeber ist an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden..."

Die Gegenseite (Behörden / Gerichte) argumentiert, dass sie sich sehr wohl an Recht und Gesetz gehalten hat, weil der Gesetzgeber das genau so vorgesehen hat - also die Anfechtungsberechtigung reglementiert hat. Dagegen wenden wir ein, dass diese Beschränkung zu groß ausgefallen ist und problematisches und vor allem unkontrolliertes Behördenhandeln legitimiert.

Die Frage ist also, ob der Staat die Kontrollmöglichkeiten von Behördenentscheidungen derart rigoros einschränken darf, wie es zurzeit geschieht? Oder um eine andere Kritik zu beantworten: Ja, es ist Aufgabe der Politik das Recht zu gestalten, nicht umgekehrt. Es ist aber Aufgabe des Rechts bzw. der Gerichte, Politik zu kontrollieren, auch und besonders dabei, ob Gesetze, die von der Politik auf ihre Wünsche hin maßgeschneidert wurden und Rechte von Bürgern beschneiden, (noch) rechtmäßig sind. Letzlich ist das eine Abwägungs- bzw. Bewertungsfrage. Was hängt höher: Das Recht der Bürger, Behörden kontrollieren (lassen) zu können - oder das Recht der Behörden auf ungestörtes Handeln?

Dabei fordern wir ja keine Willkür, also die grundsätzliche Ablehnung behördlicher Entscheidungen. Im Gegenteil, wir wollen ausdrücklich Willkür begrenzen! Wir wollen Bereiche, die sich der Kontrolle entzogen haben, wieder kontrollieren (lassen). Sind behördliche Entscheidungen grundsätzlich von Bürgern klaglos (!) hinzunehmen oder unterliegen auch sie dem rechtsstaatlichem Prinzip der gerichtlichen Überprüfbarkeit? Und zwar nicht nur auf anfechtungsberechtigte Behörden beschränkt, was ein Zirkelschluss ist und das System eher stärkt als schwächt, sondern auch für betroffene Bürger.

In einem Interview sagt Werner Gröschel, vorsitzender Richter des Frankfurter Landgerichts:

"... denn wenn die sogenannten kleine Leute den Glauben an den Rechtsstaat verlieren, ist es vorbei."

Genau darum geht es. Nicht nur der Rechtsstaat hört auf, einer zu sein, wenn er keiner mehr ist, unser Gesellschaftssystem insgesamt hat dann ein Problem. Wenn "der kleine Mann" denkt, die da oben machen eh nur, was sie wollen, dann wählt er AfD. Was sogar eine der harmloseren Varianten wäre, wir könnten uns weit schlimmere vorstellen. Und die Begründung aus dem BVG-Beschluss, weshalb der Rechtsstaat nur partiell gelten soll (Bindungswirkung, Inzidentprüfung, Eigentumsbetroffenheit), halten wir nicht für ausreichend, um die Rechtsstaatlichkeit derart auszuhebeln. Insbesondere die Bindungswirkung müsste eigentlich im Gegenteil dazu führen, dass eine behördliche Entscheidung besonders sorgfältig geprüft wird, weil sich daraus so viele Folgeentscheidungen ableiten lassen.

In Diskussionen wird uns von der Gegenseite vorgeworfen, dass wir Verschwörungstheorien folgen, das demokratische System infrage stellen wollten und abseitige Partikularinteressen verfolgen würden. Das Gegenteil ist der Fall. Wir wollen den Rechtsstaat schützen, wir wollen, dass er in allen Bereichen gilt, nicht nur in unwichtigen. Wir wollen, dass Behörden sich an ihre eigenen Gesetze halten, wir wollen das erodierende Vertauen in den Rechtsstaat zurückgewinnen. Wir wollen Verschwörungstheorien verhindern!

Da ist ein Fehler im System.

Nachdem wir den Instanzenweg erfolgreich hinter uns gebracht haben (Normenkontrollantrag beim OVG, Revisionsantrag beim BVG) bleibt uns also die Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht. Und weil das Bundesverfassungsgericht nicht nur darauf guckt, ob Gesetze richtig angewendet wurden, sondern, ob die Gesetze richtig, bzw. grundgesetzkonform sind, sind wir zumindest nicht grundsätzlich pessimistisch. Wir gehören zwar zu den kleinen Leuten, glauben aber noch an den Rechtsstaat.


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Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom Juni 2023
Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom Juni 2023 (ohne Datum)
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Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 10.2.2022
Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 10.2.2022
OVG_Urteil10Februar2022.pdf
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Kommentare: 2
  • #1

    ... (Sonntag, 30 Juli 2023 11:12)

    Bundesverfassungsgericht?
    Au weia!

  • #2

    kleiner mann (Donnerstag, 03 August 2023 10:42)

    ihr seid doch verreuckt wenn ihr glaubt das ihr das gewinnen koennt. wenn wahlen was aendern wuerden waeren sie laengst verboten. verfassungsgerichte auch.